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Herausforderungen der EU – die Perspektive Albaniens
Der ewige Anwärter

Wartender Kandidat: Seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen 2014 blickt man gezwungenermaßen geduldig aus Albanien auf die EU. Wie empfindet das Land am Balkan seine Chance und vor welchen Herausforderungen sieht man die Europäische Union stehen?

Die Europäische Union hat aus albanischer Sicht vor allem zwei Probleme: 1. Glaubwürdigkeit und 2. Uneinigkeit. Besonders in Krisen zeigt sich, wie unterschiedlich die einzelnen Mitgliedsstaaten reagieren und wie verschieden die Vorstellungen bei konkreten Herausforderungen sind. So war es in der Eurokrise, so ist es heute in der Pandemie. Die EU tut sich schwer, mit einer Stimme zu sprechen und torpediert so seinen möglichen Einfluss global aber auch innerhalb der EU. In was für eine Zukunft soll die EU gehen? Wie sich weiterentwickeln? Auch dazu gibt es ganz unterschiedliche Ideen. Besonders bitter ist für Albanien, dass das Land an der Adria seit acht Jahren vergeblich auf seinen EU-Beitritt wartet. Inzwischen nutzen populistische Kräfte innerhalb der EU den stockenden Beitrittsprozess, um Stimmung gegen Brüssel zu machen.

Der Doppeladler blickt nach West und Ost. Flagge von Albanien.

In Albanien erkennt man ein Demokratie- und Legitimationsdefizit der EU. Das führt zu "democratic backsliding" in einigen Mitgliedsstaaten, besonders in Osteuropa.

1 Frage – 27 Antworten

Nach einer Interviewrecherche benennt Gjergji Vurmo vom Institute for Democracy and Mediation (IDM) in Albaniens Hauptstadt Tirana fünf Themen, die aus albanischer Sicht zu den größten Problemen der Europäischen Union gehören:

  1. Schlechtes Krisenmanagement der EU. Durch permanentes „muddling through“ reagiert die EU lediglich auf Krisen.  
  2. Wegen der sehr heterogenen Interessen der EU-Mitgliedsstaaten schafft es die EU nicht, außenpolitisch als einheitliche Akteurin aufzutreten und hat es schwer sich auf der internationalen Bühne glaubwürdig gegen Systemrivalen wie China und Russland zu behaupten. Auch sind die Spuren der Trump-Administration und der Krise der transatlantischen Partnerschaft deutlich sichtbar. Diese Beziehung muss erneuert werden. Andererseits sollte sich die EU nicht zu sehr auf die Vereinigten Staaten verlassen und auch regionale Akteure für potenzielle Partnerschaften miteinbeziehen.         
  3. In der letzten Dekade habe sich nach Vurmos Analysen das Demokratie- und Legitimationsdefizit in Brüssel zu einem sogenannten „democratic backsliding“ in einigen Mitgliedsstaaten gewandelt, besonders aber in Polen und Ungarn.
  4. Mit Punkt 3 verbunden ist eine schleichende Solidaritäts- und Wertekrise innerhalb der EU. Sie zeichnet sich durch die allgemeine Uneinigkeit (Schengenraum, Euro, Corona), fehlender Kooperation einzelner Staaten (Polen, Ungarn) und der Zweckentfremdung von EU-Fonds (Korruption & organisierte Kriminalität) aus.
  5. Ein Problem für die Glaubwürdigkeit der EU aus albanischer Sicht ist, dass Albanien das Gefühl hat, im Beitrittsprozess als Bürde wahrgenommen zu werden. Das strategische Potential des Landes würde nicht wertgeschätzt. Dies trägt zur Entfremdung zwischen Brüssel und Tirana bei und hilft populistischen Kräften, die nationalen Pathos beschwören.

Autorin: Christiane von Czettritz und Neuhaus, HSS

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