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Neue Perspektive für den Westbalkan
Das Tor nach Europa

Autor: Polixeni Kapellou

Die Europäische Kommission hat ein Strategiepapier zur EU-Erweiterung auf dem Westlichen Balkan vorgelegt und verlangt Reformen. Im Fokus stehen Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit, Digitalisierung, die Integration der Energie- und Verkehrsnetze und der Versöhnungsprozess in der Region.

Es ist ein Schicksalsjahr für die EU auf dem Westbalkan. Russland  sieht den Westbalkan als eine mögliche Zone seines eigenen Einflusses, China baut konsequent seine neue Seidenstraße aus, während die Türkei und einige der theokratischen Golfstaaten versuchen, die muslimische Bevölkerung auf dem Balkan für sich zu gewinnen.

Hintergrund:

Um sich einen Überblick über die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Lage des Westbalkan zu verschaffen, diskutierten in Athen auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung und in Kooperation mit der Südosteuropa-Gesellschaft Wissenschaftler, Politikexperten und Medienvertreter über die EU-Perspektive, die neuen Chancen und Risiken des Westlichen Balkans sowie über den wachsenden Einfluss Chinas in dieser Region.

Die Flaggen Albaniens und der EU wehen nebeneinander im Wind.

„Die Zukunft, die Perspektive und das Schicksal der Balkanstaaten wird entweder europäisch oder traumatisch ausfallen“ (Giorgos Koumoutsakos, Nea Demokratia)

EjupLila; CC0; Pixabay

Die EU: So nah und doch so fern

Der westliche Balkan ist ein Teil Europas, der geografisch von EU-Mitgliedstaaten umgeben ist. Die Staaten der EU und der Region haben ein gemeinsames historisches Erbe und stehen vor gemeinsamen Aufgaben. Der Westbalkan ist ein Sammelsurium kleiner Staaten mit vielschichtigen Problemen. Die wirtschaftliche Lage der Westbalkanländer ist düster, die politische Landschaft sehr heterogen geprägt. Ein großes Außenhandelsdefizit mit der EU, Bevölkerungsrückgang und die Abwanderung der Jugend sind nur einige der Ansatzpunkte für beherzte Reformen.  Auch die geopolitischen Rahmenbedingungen auf dem Westbalkan sind äußerst fragil. Dies betreffe vor allem Bosnien-Herzegowina und Kosovo, stellte der ehemalige Außenminister Griechenlands Evangelos Venizelos fest. Siebenundzwanzig Jahre nach dem Zerfall des früheren Jugoslawiens könnten wir sagen, so Venizelos, dass wir wahrscheinlich vor einer neuen Welle des Revisionismus stehen und die Grenzen, die nach der Auflösung des ehemaligen Jugoslawien gezogen worden sind, wieder in Frage gestellt werden könnten.  

Die Auseinandersetzungen und die Konflikte der 90er Jahre führten in der Region zu einer Reihe vorläufiger Abkommen, wie etwa das Abkommen von Dayton oder die Resolution des UN-Sicherheitsrats über das Interimsabkommen zwischen Griechenland und der ehemaligen Jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien. Seitdem ist es jedoch nicht gelungen, diese langfristigen Interimsabkommen durch endgültige Vereinbarungen zu ersetzen. Eine Gefahr nicht nur für das Investitionsklima, sondern auch für die Sicherheit in der Region und in Europa. Es liege in unserem eigenen Interesse, dass es auf dem Balkan friedlich bleibe und dass sich die Länder dort gegenseitig zum Wohle aller und gerade der EU akzeptierten, tolerierten und friedlich zusammenarbeiteten. Dies sei ein primäres Anliegen der Hanns-Seidel-Stiftung in dieser Region, sagte die HSS–Vorsitzende Prof. Ursula Männle in Athen.

Langgezogene Brücke in Belgrad über dunklem Wasser bei Nacht.

Bevor Gespräche über eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Länder des Westbalkan beginnen können, steht die Region noch vor großen Reformprojekten, besonders in den Feldern Justiz, innere Sicherheit, Korruption und organisierte Kriminalität.

hpgruesen; CC0; Pixabay

Die Zukunft des westlichen Balkan muss europäisch sein

Der Parlamentsabgeordnete und „Schattenaußenminister“ der griechischen Oppositionspartei Nea Demokratia, Giorgos Koumoutsakos, hält die EU-Perspektive der Balkanstaaten für einen unumkehrbaren Weg. Sie sei die einzige Lösung, revisionistische Ambitionen und Einflussnahme von Drittmächten wie der Türkei, Russland oder China abzuwehren.  „Die Zukunft, die Perspektive und das Schicksal der Balkanstaaten wird entweder europäisch oder traumatisch ausfallen“, sagte Koumoutsakos. Die EU müsse das erste garantieren und das zweite abwenden. Der Weg in die EU führt aus Sicht der Kommission primär nur über Reformen und politische Anstrengungen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit sowie komplementär über erweiterte Digitalisierung sowie über die Anbindung an Energie- und Verkehrsnetze. Insbesondere soll die Aussöhnung zwischen den Staaten des westlichen Balkans vorangetrieben und die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung verbessert werden. Dafür hat die EU-Kommission für den Zeitraum zwischen 2018 und 2020 sechs sehr konkrete „Leitinitiativen“ vorgeschlagen.  

Als die EU dem Westlichen Balkan schon 2003 in Thessaloniki eine Beitrittsperspektive eröffnete, verlangte sie von den Kandidaten als Voraussetzung die Erfüllung einer Reihe von politischen und wirtschaftichen Zielen. Die Beitrittskandidaten sollten unter anderem Privatisierungen durchführen, den Anstieg der Exporte voranbringen und ausländische Investitionen anlocken. Diese Kriterien wurden leider nicht erfüllt und die Folge war, dass die langersehnte Konvergenz ausblieb. Die wirtschaftliche Lage der Westbalkanländer sei daher heute düster, sagte Dr. Dusan Reljic vom Institut für Wissenschaft und Politik in Berlin. Große Haushaltsdefizite, ein Außenhandelsdefizit mit der EU von 97 Milliarden Euro, Bevölkerungsrückgang und die Abwanderung der Jugend sind nur einige der wirtschaftlichen Probleme dieser Länder. Durch die sogenannten Vorbeitrittshilfen für die Region bekommen die Länder von der EU zwar jährlich zwischen sechzig und zweihundert Millionen Euro für strukturelle Reformen, aus der Region des Balkans fließt jedoch viel Kapital (auch menschliches) in die EU ab. Das kompensiert leicht diese Hilfszahlungen der EU und legt neue Probleme offen: im Gegensatz zu Bulgarien und Rumänien, die seit 2007 der EU als Mitgliedsländer angehören,  haben die West-Balkanstaaten bis heute keinen Zugriff auf die sogenannten „Strukturfonds“, die sie zur Finanzierung nötiger Maßnahmen nutzen könnten.

Der Hafen von Piräus bei Nacht. Halbrund schmiegen sich die Promenaden um das ruhige Wasser des inneren Hafens.

Für China ist Griechenland das "Tor nach Europa". Der Hafen von Piräus ist die größte chinesische Investition in dem EU-Land und Teil der im Bau befindlichen "neuen Seidenstraße".

doukasnik; CC0; Pixabay

Von der Balkan-Route zur Seidenstraße

China hat eine Reihe von Aktivitäten in Südosteuropa begonnen, die aufhorchen lassen. Große Infrastrukturprojekte, wie etwa in Griechenland die Übernahme des Hafens von Piräus, zeugen von einem massiven chinesischen Engagement. Durch Investitionen und Kreditvergabe gewinnt Peking dadurch politisch an Einfluss. Die EU hat noch keine klare Strategie formuliert, wie sie damit umgehen will.  

Die neue Seidenstraße, die über Land von China quer durch den eurasischen Kontinent bis nach Europa reichen soll, wird parallel auch über den Seeweg führen. Auch in diesem Bereich investiert China gewaltige Summen. Vom Hafen in Quanzhou an der Westküste Chinas aus sollen Frachter insbesondere die Häfen von Jakarta (Indonesien), Kalkutta (Indien) und Colombo (Sri Lanka) anlaufen, sowie in Kenia Waren umschlagen können, bevor sie durch den Suezkanal schließlich nach Piräus und weiter in die Region Venedig gelangen. Bei den europäischen Hafenprojekten der neuen Seidenstraße liegt der Fokus der Chinesen auf Piräus. Der chinesische Premierminister Li Keqiang hatte bereits 2014 Griechenland als “Tor nach Europa” bezeichnet. Schon seit 2009 ist die staatliche chinesische Schifffahrtsgesellschaft „Cosco“ hier tätig. Der Hafen in Piräus ist bislang die größte chinesische Investition in Griechenland. Er wird modernisiert und soll langfristig zum wichtigsten Logistikzentrum Chinas in Südosteuropa werden. Aber er ist nicht das einzige Großprojekt von Cosco. Das Netzwerk der Investitionen in die Hafeninfrastruktur der Region wird seit einer Dekade systematisch auf- und ausgebaut. Coscos maritime Verbindungen reichen mittlerweile bis nach Ägypten, in die Türkei, nach Italien und Belgien.  

Chinas Machtmittel: strategische Investitionen

Diese chinesischen Ankerinvestitionen in Europa garantieren der chinesischen Wirtschaft Brückenköpfe in Europa, die sukzessive zu einem sogenannten „Investment-Cluster“ ausgebaut werden sollen, wie es bereits im Energiesektor Europas zu beobachten ist: Chinesische Investoren kaufen sich mit Hilfe finanzieller Unterstützung aus ihrem Heimatland in strategisch wichtige Sektoren der europäischen Wirtschaftsstruktur ein. So wird die Akquise von Unternehmensanteilen fast ausschließlich durch die drei wichtigsten staatlichen Banken Chinas finanziert, genau wie der Bau einer Brücke in Belgrad, Serbien,  eines Wärmekraftwerks in Bosnien-Herzegowina oder einer Autobahnverbindung vom Hafen in Bar in Montenegro zur Grenze nach Serbien. Zudem werden die steigenden Investitionen Chinas und die wachsenden Außenhandelsvolumina mit Ländern Südosteuropas schrittweise durch politische Kooperationsabkommen ergänzt. „16+1“, so nennt sich das von China ins Leben gerufene Forum von 16 Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa mit China. Jedes Jahr treffen sich die teilnehmenden Staaten, zuletzt in Budapest im November 2017. Das Entstehen der neuen Seidenstraße hat neben der wirtschaftlichen also auch eine politische Dimension, wie Dr. Luba von Hauff von der Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin zusammenfasste. China wolle durch Investitionsprojekte im Ausland seinen geopolitischen Einfluss stärken und gleichzeitig das chinesische Modell als Gegengewicht zum westlichen aufbauen.  

EU-Beitritt bis 2025?

Die gesamte Region des Westbalkans ist nach wie vor von politischer Instabilität und  Wirtschaftsproblemen gekennzeichnet. Hinzu kommen vor allem in den Sektoren Verwaltung,  Justiz und Innere Sicherheit teilweise verzögerte Reformen sowie mangelhafte Anstrengungen gegen  Korruption und organisierte Kriminalität.  All dies erschwert den Diskussionsprozess  um die EU-Erweiterung in Richtung West-Balkanstaaten  und erleichtert dort die Einflussnahme von Drittländern wie China. Die Instabilität wird durch Versuche der Türkei und Russlands verstärkt, Einfluss auf die innenpolitische Situation in einigen Ländern wie Bosnien, Mazedonien oder Montenegro zu nehmen. Das Zeitfenster bis 2025, das in der aktuellen Westbalkan-Strategie der EU-Kommission als zeitliche Zieloption artikuliert wurde, ist daher momentan vorbehaltlich der Durchführung weiterer Reformen nur für einen EU-Beitritt von Montenegro relativ realistisch. Für Serbien und Mazedonien bestehen erst dann  realistische Aussichten auf eine EU-Mitgliedschaft,  wenn neben strukturellen Reformerfolgen zudem auch die völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo durch Serbien vollzogen und  der Namensstreit zwischen Mazedonien und dem EU-Mitglied Griechenland gelöst ist.

 Polixeni Kapellou
Griechenland (Athen)
Polixeni Kapellou
Leiterin